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Christoph Werner: Der Bronstein-Defekt

...und andere Geschichten

Der Maulbeerbaum und die lahme Lene

Der Maulbeerbaum und die lahme Lene

Christoph Werner

Im Friedhof der Kirche St. Katharinen in Ammendorf, meine Leserinnen und Leser, steht ein jahrhundertealter Maulbeerbaum, der, könnte er sprechen, viel zu erzählen hätte. Zum ersten spendete er im Herbst den Kindern des Pfarrhauses, auch Ihrem Erzähler, der hier von 1949 bis 1956 entscheidende Jahre seiner Kindheit verbrachte, die süßen weißen Maulbeeren. Zum zweiten diente er durch seine beiden knorrigen Stämme als vorzüglicher Kletterbaum, von dem aus man in den Vorgarten des ehemaligen Pfarrhauses, jetzt Gemeindehaus, hineinsehen konnte.

Drittens aber ist er ein Zeugnis wirtschaftspolitischer Entscheidungen des Alten Fritz, des preußischen Königs Friedrich des Großen, der im 18. Jahrhundert verstärkt Maulbeerbäume in Preußen anbauen ließ, bevorzugt auf Schul- und Kirchhöfen. Sie dienten als Futtergrundlage für die Seidenraupen. Letztendlich aber scheiterte das mit zwei Millionen Talern geförderte königliche Selbstversorgungsprojekt infolge von zu großem Arbeitsaufwand, Unwissenheit über die Seidenraupenzucht sowie Klima und Krankheiten. Übrig geblieben sind vor allem in Brandenburg, aber eben auch in Ammendorf in Sachsen-Anhalt einige der Maulbeerbäume. Es ist zu hoffen, dass der Ammendorfer Maulbeerbaum auf Grund seines Alters und seiner Geschichte unter gesetzlichen Schutz gestellt wird.

Übrigens besitzt der Maulbeerbaum neben seinen süßen Früchten noch andere Vorzüge: sein intensiv gefärbtes, sehr hartes Holz, die langfaserige Rinde für die Herstellung von Papier (Maulbeerpapier) und seine Wirksamkeit als Heilmittel in der Medizin.
Unter dem Ammendorfer Maulbeerbaum soll die Lahme Lene begraben liegen, ein Ammendorfer Original, vor deren giftiger Zunge kein Mensch sicher war. Nachzulesen ist die Geschichte der Lahmen Lene neben vielen anderen in den Ammendorfer Sagen, erzählt von Otto Schroeter und erschienen in der Merseburger Druck- und Verlagsanstalt L. Baltz im Jahre 1924. Gesammelt und gepflegt werden Erinnerungen, Geschichten, Memorabilia und vieles andere mehr, das uns hilft, unser historisches Gedächtnis zu bewahren, vom Ammendorfer Heimatverein, der eine eigene Website hat: www.Ammendorf.de

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Fotos: Christoph Werner

Der Kirchturm von St. Katherinen findet seinen literarischen Niederschlag in der Erzählung „Auf dem Kirchturm" in: Werner, Christoph. 2001. Der Bronstein-Defekt und andere Geschichten. Hildesheim: Cambria-Verlag. Vertrieb durch den Bertuch-Verlag Weimar http://www.bertuch-verlag.com/393760118X.php

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