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Klaus-Werner Haupt

Francesco Algarotti

Gelehrter - Connaisseur - Poet

Mit seinem Buch zeichnet Klaus-Werner Haupt nicht nur das Bild eines überaus vielseitigen Mannes, sondern ein Gemälde des Jahrhunderts der Aufklärung. Eine unterhaltsame Lektüre!

Der Gutjahrbrunnen

Der Gutjahrbrunnen

Nicole Türschmann

Darstellung der Salzproduktion in der Saline
Darstellung der Salzproduktion in der Saline
In uralten Zeiten, so murmelten die Wellen, ehe noch ein Haus in dieser Gegend stand, war dort eine große Wiese, an die sich unterhalb, wo die Saale sich durch die Felsen zwängt, ein dichter und großer Wald anschloß. Menschen wohnten nicht in dieser Gegend, nur im Frühjahr, wenn der Wald sein neues Kleid anzog und die Wiese sich mit bunten Blumen und Kräutern schmückte, dann kamen große kräftige Gestalten mit zahlreichen Herden von Rindern und Pferden und weideten dort, bis alles Gras verzehrt war und der Herbst das kahle Laub über die abgestorbenen Fluren jagte. So war es viele viele Jahre fortgegangen, als einmal im Lenz einer der Hirten einen sonderbaren Traum hatte. Ihm träumte, wie er so süß im Schlummer auf der Wiese lag, daß alles um ihn verdorrte und das grüne Laub fiele welk von den Bäumen zur Erde. Plötzlich verfinsterte sich der Himmel und dicke Schneeflocken fielen herab und bedeckten alles mit einer dichten weißen Decke, nur die Stelle auf der er lag, blieb frei und blühte herrlich weiter. Er wachte auf, rieb sich die Augen aus, da war alles wieder grün. Als er sich aber am anderen Abend wieder schlafen legte, erschien ihm daßselbe Traumbild, und am folgenden Abend wieder, nur war es ihm, als ob er eine Stimme aus der Tiefe hörte, die zu ihm rief: „Erlöse mich, so will ich Dich reich belohnen!". Und ein heller Stern strahlte vom Himmel mit ewig milden Glanze hernieder.
Der Wirt sann lange darüber nach, fand aber keine Lösung. Deshalb machte er sich auf und ging zu den heiligen Männern, die auf dem Ochsenberge hausten und aus dem Rauschen der Eichen die Zukunft verkündeten und wahrsagten. Er erzählte ihnen, was er gesehen hatte. In tiefem Schweigen schritten sie in den Hain. Es währte eine geraume Zeit, bis sie wieder zum Vorschein kamen, dann sprach der Älteste zu ihm: Wir haben die Nornen befragt und sie haben also geantwortet: „Wenn der nächste Vollmond am Himmel steht zu der Stunde, wo die Sonne sich zu Wiederkehr wendet, schneide Dir ein Reis vom Wacholderstrauch, lehre mit demselben wieder hierher und tauche es in das Blut des heiligen Opferstieres, damit Du vor den bösen Geistern geseiet seist. Mit diesem Reiß warte so lang bis Baldur die Erde verläßt und sie unter weißer Decke verbirgt, dann wird eine Stelle frei bleiben drei Schuh lang und drei Schuh breit; in der Mitte grabe ein Loch drei Schuh tief, lege das Reiß hinein, so wirst du einen großen Schatz heben."
So tat er denn auch, wie ihm geheißen war. Als der Herbstwind über die Fluren strich und seine Genossen alle fortzogen mit ihren Herden, blieb er allein zurück, hüllt sich in dicke Felle, grub sich eine tiefe Höhle, in der er Nachts schlief, und wartete so den Winter ab. Lang, lange währte es, ohne daß die Verheißung in Erfüllung ging. Der kürzeste Tag war schon vorüber; er begann zu verzweifeln und wollte sich aufmachen und seine Genossen wieder suchen - da - es war schon spät in der Nacht - sah er plötzlich jenen Stern, der ihm im Traume erschienen war, mit prächtigem Strahlenglanz stieg er am Horizont empor. Und zu gleicher Zeit fielen aus dem klaren, wolkenlosen Himmel viele kleine weiße Sternchen hernieder und bedeckten weit und breit die abgestorbene Wiese. Er schaute sich um - und wirklich, dort lag der leere kahle Flecken. Freudetrunken griff er zum Spaten und arbeitete hastig in die Tiefe. Drei Schuh, hatten ihm die Priester gesagt; daß war bald vollendet und in banger Erwartung warf er daß Reiß hinein. Kaum hatte dies den Boden berührt, da stieg ein heißer Dampf empor und es begann zu brodeln und zu sieden und heller Feuerschein flammte aus der Tiefe herauf. Plötzlich stand eine Jungfrau in strahlender Schönheit vor ihm mit gold´nem Diadem auf dem Haupte, die sprach also:
„Lange Jahrhunderte war ich gefesselt von zwei griesgrämigen Riesen und mußte ihnen dienen, dieweil du mich nun erlöst hast, will ich Dir die Quelle zu eigen geben, die aus diesem Boden quillt. Sie enthält das wertvollst Gut und wird Dir und Deinen Nachkommen viele Schätze bringen, so lange es treu und ehrlich verwaltet wird. Wenn aber einst der, dem die oberste Leitung darüber anvertraut ist, zu seinen eigenen oder fremder Leute Nutzen wirtschaften wird, so soll sie versiechen und die Stätte soll versinken in Schutt und Asche!"
Verblendet von der Schönheit und dem hellen Klange ihrer Stimme war der Hirt zu Boden gestürzt, als er sich wieder erhob, war die Nymphe verschwunden, an der Stelle aber, wo sie erschienen war, sprudelte eine dampfende Quelle kräftig aus der Tiefe der Erde hervor. Ohne noch zu ahnen, welchen Schatz er entdeckt hatte, aber doch voller inniger Freude über die freundliche Gestalt und ihre Verheißung machte er sich auf den Heimweg zu seinen Genossen.
Der Stern aber, der ihm so überaus mild und liebreich vom Himmel strahlte, stand fern im Morgenland über einem zerfallenem Hüttlein und glänzte hernieder auf ein kleines Knäblein, daß in einer Krippe lag und fröhlich in die Welt hinein blickte. Die Englein aber sangen und verkündeten den Hirten auf dem Felde: „Euch ist heute der Heiland geboren! Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!"
Dieweil nun diese Quelle gegraben war im Jahre des Heils, so nannte man sie später „Gutjahrbrunnen" und sie heißet noch so bis auf den heutigen Tag.

 

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Quelle: Aus der Heimat. Sagen und Märchen der Halloren. Von Franz Büttner Pfänner zu Thal.

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