Es gibt, meine Leserinnen und Leser, viele Beispiele für Personen aus sog. bürgerlichem oder gar bäuerlichem Stand, die an Höfen von K&oumouml;nigen oder Fürsten, besonders während der Zeit des Absolutismus, ihr Glück versuchten und unterschiedlichste Schicksale erfuhren. Agnes Bernauer, die Tochter eines Baders, ist mein frühestes Beispiel. Sie wurde im Jahre 1435 bei Straubing in der Donau ertränkt, weil sie dem Vater ihres Geliebten oder Mannes Albrecht III. nicht standesgemäß erschien.
Die Kantorstochter Doris Elisabeth Richter geriet in den Konflikt zwischen dem Soldatenkönig und seinem Sohn, dem späteren König Friedrich II. und wurde völlig unschuldig (nach einer besonders für ein sechzehnjähriges Mädchen erniedrigenden Virginitätsprobe) „auf ewig in das Spinn-Haus in Spandau" eingeliefert, wo sie immerhin drei Jahre verblieb.
Jeder kennt Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer und sein von Feuchtwanger literarisch verarbeitetes Schicksal. Der Kavalier und Finanzier war Hoffaktor des Herzogs Karl Alexander von Württemberg und wurde nach dessen Tod im Jahre 1738 in Stuttgart als Opfer eines Justizmordes hingerichtet.
Grigori Jefimowitsch Rasputin war ein sibirischer Bauer, der am Zarenhof in Petersburg großen Einfluss hatte und im Jahre 1916 ermordet wurde. Man schob ihm unter anderem die Schuld an der Katastrophe des Krieges zu.
Ein besonders tragisches Schicksal ist das des Johann Friedrich Graf von Struensee. Er wurde im Jahre 1737 als Sohn des pietistischen Pastors Adam Struensee in Halle an der Saale geboren. Er besuchte die Latina der Franckeschen Stiftungen und begann bereits mit vierzehn Jahren, ebenfalls in Halle, Medizin zu studieren. Im Jahre 1757 wurde er Stadtphysikus im damals von Dänemark regierten Altona, wo er 1764 die veterinärmedizinische Abhandlung „Versuch von der Natur der Viehseuche und der Art sie zu heilen" abfasste. Es war dies die erste medizinische Beschreibung der Maul- und Klauenseuche.
Durch die Bekanntschaft mit Angehörigen des dänischen Hofes wurde ihm die Begleitung des dänischen Königs Christian VII auf seiner Europareise (1768-69) angeboten. Danach wurde er Leibarzt des Königs. Er beherrschte den übersensiblen - manche sagen den gemütskranken - König, der ihm die Staatsgeschäfte überließ. Im Jahre 1771 wurde er Geheimer Kabinettsminister und in den Grafenstand erhoben. Von März 1771 bis Januar 1772 führte er eine Anzahl von Reformen ein, die Dänemark für kurze Zeit zum fortschrittlichsten Land Europas machten. Dazu gehörten Presse- und Meinungsfreiheit, Abschaffung der Folter, Reform des Schulwesens und Verminderung der Arbeitslast der Bauern. Kaum eine dieser Reformen überdauerte allerdings ihren Schöpfer.
Seine fortschrittlichen Ideen, sein schneller Aufstieg am Hofe und seine Liebschaft mit der Königin, die wahrscheinlich vom König geduldet wurde, schufen ihm bald viele Feinde. Es gelang ihnen in einem Putsch, beim König Struensees Verhaftung durchzusetzen. In einem Geheimprozess, in dem Struensee alle Argumente seiner Gegner entkräften konnte, wurde er dennoch zum Tode verurteilt. Am 28. April 1772 wurde dieser große und unglückliche Sohn der Stadt Halle vor den Toren Kopenhagens geköpft, gevierteilt und aufs Rad geflochten, nachdem ihm der Henker zuerst die rechte Hand abgehackt hatte.
Die Erinnerung an ihn ist in Dänemark nicht erloschen. Paul Barz (s.u.) zitiert einen Kopenhagener Fremdenführer folgendermaßen:
"Auf das Osterfeld trieben die Bauern ihr Vieh,
und hier wurden auch viele Leute geköpft,
darunter der berühmte Dr. Struensee.
Er war der Leibarzt des Königs und Liebhaber der Königin.
Das kommt davon.
Die Ironie der Geschichte will es, dass die mutmaßliche Tochter Struensees mit der dänischen Königin die Urgroßmutter der Frau Kaiser Wilhelms II., Augusta, wurde."
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Literatur:
Barz, Paul. 1989. Doktor Struensee. Rebell von oben. Berlin, Frankfurt a.M: Ullstein Sachbuch.