Der im heutigen Halleschen Stadtteil Reideburg geborene Hans Dietrich Genscher gehört zu den bedeutenden deutschen Politikern überhaupt. Sein Vater, vom Beruf Jurist, starb, als Hans Dietrich 10 Jahre alt war. Der Sohn besuchte die Oberschule in Halle und wurde im 2. Weltkrieg 1943 als 16-jähriger zum Dienst als Luftwaffenhelfer eingezogen. 1945 meldete er sich freiwillig zur Wehrmacht. Es war dies unmittelbar vor seinem 18. Geburtstag und er musste befürchten, andernfalls zur Waffen-SS eingezogen zu werden. Kurz vor Kriegsende geriet er in Gefangenschaft. Nach seiner Entlassung arbeitete er als Bauhilfsarbeiter und legte in Halle die Ergänzungsreifeprüfung ab. Anschließend studierte er in Halle und Leipzig Jura und Volkswirtschaft und war nach Abschluss des ersten juristischen Staatsexamen Referendar im Oberlandesgerichtsbezirk Halle.
1946 war Genscher der im Jahr 1945 in der ehemaligen DDR gegründeten Liberal-demokratischen Partei Deutschlands (LDP) beigetreten. 1952 floh er über Westberlin aus der DDR und wurde zunächst in Bremen ansässig. Er legt die zweite juristische Staatsprüfung ab, wurde Rechtsanwalt, dann wissenschaftlicher Assistent und von 1959 - 1965 Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion in Bonn. Von 1965 bis 1998 war er dann selbst Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Seine Wahl erfolgte jeweils über die Landesliste der FDP in Nordrhein-Westfalen. Von 1969 bis 1974 war Genscher Innenminister in den Kabinetten von Willy Brandt und von 1974 bis 1992 Außenminister in den Kabinetten von Helmut Schmidt und Helmut Kohl.
Genscher war ein ungewöhnlicher geschickter Diplomat und Verhandlungsführer. Groß war sein Anteil an der Beendigung des Ost-West-Konflikts und der Vereinigung der ehemaligen DDR mit der Bundesrepublik Deutschland. Die von den meisten Partnerländern Deutschlands nicht herbei gewünschte Fusion war nur möglich, weil die westdeutsche Außenpolitik in den Jahren zuvor Vertrauenswürdigkeit und Beständigkeit bewiesen hatte.
Nicht vergessen wird Genschers Auftritt am 30.09.1989 auf dem Balkon der Deutschen Botschaft in Prag als er an die auf dem Botschaftsgelände zusammengepferchten DDR-Flüchtigen die erlösenden Worte richtete:
„Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise [... möglich geworden ist.] „
Genscher war in seiner Heimatstadt so populär, dass es seiner FDP bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen zum Bundestag im Jahr 1990 gelang, in Halle das Direktmandat zu gewinnen.
Die Verbundenheit Genschers mit seiner Heimat zeigt sich bis heute auch in vielen gesellschaftlichen Engagements.
Über Genscher schreibt Florian Russi*):
„Kein deutscher Außenminister war so lange im Amt wie der 1927 in Halle (Saale) geborene liberale Politiker Hans-Dietrich Genscher. Von 1974-I992 führte er das Auswärtige Amt. In dieser Zeit verstand er es, bei den Partnerstaaten Deutschlands ein nachhaltiges Vertrauen in die Friedlichkeit und Zuverlässigkeit deutscher Politik aufzubauen. Seine berechenbare Diplomatie trug wesentlich dazu bei, dass es zu einer friedlichen Vereinigung Deutschlands und zu einem Zusammenwachsen der europäischen Länder kommen konnte."
----
*) Florian Russi, „Worauf wir stolz sein können", Bertuch Verlag, Weimar, 2004
Fotos: Wikipedia, Daniel Biskup